Stellungnahme des NEE gegenüber dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Entwurf des Gesetzes zum Verbot lauter Güterwagen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Nette,
vielen Dank für den am 25. Oktober zugesandten Entwurf des Gesetzes zum Verbot lauter Güterwagen. Gerne nehmen wir hierzu wie folgt Stellung und bedanken uns für die Fristverlängerung vom 8. November.
Die Minderung der Lärmemissionen aus dem Schienengüterverkehr ist eines der herausragenden umweltpolitischen Ziele sowohl der Branche als auch von EU, Bundesregierung, Landesregierungen, Kommunen und Bürgerinitiativen.
Die Branche hat sich in Deutschland dahingehend erklärt, dass bis Ende des Jahres 2020 der gesamte relevante Bestand von Güterwagen entweder aus TSI-konformen oder mit Verbundstoffbremssohlen ausgerüsteten Güterwagen bestehen wird, um das Ziel einer Halbierung des Schienenlärms im Vergleich zum Jahr 2010 und damit eine deutliche Entlastung der Anwohner von Schienenstrecken erreichen zu können.
Um mit Blick auf die dominierenden Wirkungen auch einzelner lauter Güterwagen in einem Zugverband die Erreichung dieses Zieles sicherzustellen, dürfen nach diesem Datum wenn irgend möglich keine Güterwagen mit Lärmemissionen oberhalb der TSI-Werte mehr verkehren. Sonderregelungen müssen auf unabweisbare Bedarfe beschränkt bleiben.
Das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) e.V. unterstützt daher das primäre Ziel des Gesetzentwurfs, in Übereinstimmung mit den Aussagen der hiesigen Bahnbranche zur Lärmminderung in der deutschen Güterwagenflotte zeitgleich auch im relevanten europäischen Ausland einen entsprechenden Prozess in Gang zu setzen.
Unbefriedigend ist in dieser Hinsicht allerdings die mangelnde Harmonisierung der drei relevanten Prozesse. In der Schweiz wurde 2014 mit der Änderung des Bundesgesetzes über die Lärmsanierung der Eisenbahn beschlossen, dass bereits ab 1. Januar 2020 auf dem Schweizer Schienennetz der Betrieb von lauten Güterwagen grundsätzlich untersagt ist, wobei die Option einer Verschiebung der Einführung um bis zu zwei Jahren enthalten ist. Die EU-Kommission hat die Absicht verkündet, mit Wirkung zum 1. Januar 2022 den Mitgliedsstaaten die Option eines Verbots von lauten Güterwagen unter bestimmten Bedingungen zu eröffnen.
Nicht zuletzt wegen der hohen und weiter wachsenden Bedeutung internationaler Verkehre im Schienengüterverkehr ist eine terminliche Harmonisierung durch möglichst ein einheitliches Datum oder zumindest aufeinander abgestimmte Übergangsregelungen erforderlich, um eine effiziente Umsetzung der Migration leiser Technologien in die Flotten bei gleichzeitiger Wahrung der intermodalen Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs zu ermöglichen. Sonst könnte – dargestellt am Beispiel des Corridor I Rhine-Alpine - die Situation eintreten, dass zwischen Ende 2019 und Anfang 2022, also innerhalb von gut drei Jahren, in vier durchfahrenen Ländern die Bestimmungen uneinheitlich sind – und jeweils mindestens einmal verändert werden.
Umgekehrt müssen unter der Annahme der angesprochenen EU-Rechtsetzung die einschlägigen Vorschriften im vorliegenden Gesetz sowie ggf. weitere Gesetze angepasst werden, z.B. wenn Deutschland von der angesprochenen Option des EU-Rechts Gebrauch machen wollte. Insofern sollten das gesamte Gesetz bzw. vor allem die mit den Ausnahmen gemäß § 4 verbundenen Bestimmungen, von vornherein zeitlich befristet werden und in der Folge automatisch außer Kraft treten.
In Abwägung der möglichen Instrumente unterstützen wir das Instrument eines gesetzlichen Betriebsverbots, um die von den Selbstverpflichtungen der Branche nicht erfassten Wagenhalter indirekt zur Umrüstung ihrer Güterwagen auf die verfügbare lärmmindernde Bremstechnologie anzureizen – oder hilfsweise auf den Betrieb in Deutschland zu verzichten. Die Umrüstung bestehender Wagen ist sowohl mit Einmalkosten als auch erhöhtem Instandhaltungsaufwand verbunden, so dass unabhängig von den Lärmzielen auch im Interesse der Wagenhalter, die eine Umrüstung vorgenommen haben, eine Gleichbehandlung im Markt gewährleistet und Umweltdumping vermieden werden muss.
Wie auch der Begründung des Gesetzentwurf zu entnehmen ist, wurde in Abwägung der mit dem Gesetz verfolgten lärmpolitischen Ziele mit den Grundfreiheiten der EU, der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit die Notwendigkeit gesehen, Ausnahmen für den Betrieb von lauten Güterwagen zuzulassen, sofern gleichzeitig die angestrebte Lärmminderung erreicht wird. Der im Gesetzentwurf hierfür verankerte Vorschlag sieht daher bestimmte Auflagen für den Betrieb von Zügen nach Ende 2020 vor, in denen sich entgegen des allgemeinen Verbots doch laute Güterwagen befinden.
Diese Bestimmungen stellen ein erhebliches Risiko für das kurzfristige Ziel und damit auch den langfristigen Erfolg des Gesetzes dar. Ausnahmen könnten als Signal missverstanden werden, sich auf die angedrohten betrieblichen Erschwernisse einzulassen oder auf die Ausweisung von Strecken für laute Güterwagen zu spekulieren und auf den Umrüstprozess von lauten Güterwagen oder einen Ersatz durch Neuwagen zu verzichten.
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur bzw. der Gesetzgeber sollten daher prüfen, ob die vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen wirklich zielführend ausgestaltet sind. Insbesondere die Ausnahmemög-lichkeit, Züge mit lauten Güterwagen langsamer und damit leiser im deutschen Netz fahren zu können, würde bei einer signifikanten Inanspruchnahme ausgesprochen negative Folgen für die Netzkapazitäten und wiederum für die EVU (und Wagenhalter) haben, die bereits umgerüstet haben. Es sollte daher erwogen werden, die Nutzung der beschriebenen Ausnahmemöglichkeiten zusätzlich durch einen erhöhten Trassenpreis noch unattraktiver und damit unwahrscheinlicher zu machen. Hierzu sollte eine Verpflichtung des Infrastrukturbetreibers in einem neuen § 8 des Gesetzes aufgenommen werden.
Zu den einzelnen Bestimmungen des Gesetzentwurfs möchten wir die folgenden Anmerkungen machen:
§ 4
Während die Ausnahmen der ersten Alternative in Verbindung mit dem erhöhten Trassenentgelt aus § 8 (neu) den europarechtlichen Anforderungen in geeigneter Weise Genüge tun, sind die in Satz 2 aufgeführten Ausnahmebe-stimmungen nicht sinnvoll. Demnach soll der Betrieb von lauten Güterwagen dort nicht untersagt werden, wo es für den Lärmschutz aufgrund topographischer, geographischer oder eisenbahnbetrieblicher Gründe oder wegen des Vorhandenseins von Schallschutzmaßnahmen nicht erforderlich ist. Eine praxisnahe Betrachtung führt jedoch zu dem Ergebnis, dass vermutlich keine Verkehrsbeziehungen existieren bzw. denkbar sind, bei denen diese Bedingungen in signifikantem Umfang gegeben sind. Zudem dürfte die Bestimmung der entsprechenden Streckenabschnitte ausgesprochen aufwändig sein und Zuständigkeitsfragen (DB Netz? Eisenbahnbundesamt? Landesimmissionsschutzbehörden?) aufwerfen, deren Klärung in keinem Verhältnis zum möglichen Nutzen stünden.
§ 5
Da Steilstrecken im Schienennetz derzeit nur mit Wagen mit Graugusssohlen befahren werden dürfen, die dort verkehrenden Züge aber auch auf dem restlichen Netz verkehren und kein „fliegender“ Umbau der Bremssysteme möglich ist, müssten Wagen auf Fahrten unter Einbeziehung von Steilstrecken ebenfalls befreit werden, hierfür bietet sich systematisch ein neuer Unterpunkt 3 an. Für die Befristung empfiehlt sich eine Orientierung an der fünfjährigen Genehmigungsdauer sowie – als Voraussetzung für einen etwaigen vorzeitigen Widerruf – die Genehmigung von alternativen Bremssohlen.
Ebenso müsste eine sinnvolle Befreiung nach den Absätzen 1 bis 3 (bzw. 4) auch die ggf. notwendigen Fahrten lauter Güterwagen zur Verwertung und zu/von Werkstätten umfassen, die grundsätzlich einen sehr geringen Umfang haben werden, aber ohne Befreiung möglicherweise auf der Straße transportiert werden müssten.
§ 7
In dieser Vorschrift stellt sich die Frage, ob die Aussagen im Anschluss an Satz 1 benötigt werden. Im Sinne der Zielsetzung des Gesetzes sollten EVU überhaupt nicht mehr die Möglichkeit einer Anmeldung von Zügen mit lauten Güterwagen zum Netzfahrplan haben, wenn ein Verbot ausgesprochen wurde. Sollte in einem Zug, für den eine regulär (mit leisen Wagen) beantragte Zugfahrt beim Infrastrukturbetreiber bestätigt wurde, entgegen des Verbots doch ein lauter Wagen eingestellt sein, verbleiben dann noch zwei gesetzeskonforme Möglichkeiten: Aussetzen des Wagens oder Beantragung einer ad-hoc-Trasse mit den in § 4 i.V.m. § 6 genannten Einschränkungen. Durch die Streichung der Option wird zuverlässig verhindert, dass bereits bei der Erstellung des Netzfahrplans Kapazitäten im Netz durch lärmbedingt langsam verkehrende Züge (teilweise sogar unnötig) verzehrt wer.
§ 8
Die Auskunftspflicht nach § 8 Abs. 2 Satz 1 ist nicht sinnvoll begrenzt und muss ggf. konkretisiert oder gestrichen werden. Eine sinnvolle Kontrolle des Verbots durch die zuständige Behörde erfolgt sicherlich nicht wie in § 10 Abs. 1 beschrieben, sondern im realen Zugbetrieb, so dass (nur) bei vermuteten Verstößen gegen das Verbot ein konkreter Herausgabeanspruch auf Unterlagen in Betracht kommt.
§ 10
Für eine wirksame Kontrolle sollten vorhandene Daten so weit als möglich automatisiert ausgewertet und ggf. durch zusätzliche Nachkontrollen verifiziert werden. Unter Effizienzgesichtspunkten sollte ein Kontrollprogramm zunächst intensiv nach Inkrafttreten des Gesetzes ausgestaltet und dann an die vermutlich geringer werdende Menge von Verstößen angepasst werden. Die Befugnis nach Absatz 2, das Zusammenspiel von Infrastrukturbetreiber und antragstellenden Zugangsberechtigten bis hin zur Zusammensetzung von Antragsunterlagen behördlich zu kontrollieren, ist nicht erforderlich. Sofern der Netzbetreiber keine entscheidungsfähigen Unterlagen erhält, kann er die Zuweisung von Trassenkapazitäten verweigern, dem Zugangsberechtigten steht in diesem Fall der Weg zur Regulierungsbehörde offen. Sinnvoll ist dagegen die ebenfalls in diesem Absatz geregelte Prüfung der korrekten Anwendung der Bestimmungen des Gesetzes durch den Infrastrukturbetreiber bei der Zuweisung von Trassenkapazitäten.
§ 11
Die Pönalisierung von Verstößen ist sinnvoll. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind jedoch ungeeignet, da sie alle Nutzer der Infrastruktur indirekt mit belasten würde. Bedeutsame Verstöße müssen – ausschließlich – deren Verursacher belasten, z.B. finanziell durch Bußgelder (s. § 13), oder in sehr schwerwiegenden Fällen in die Überprüfung der Betriebserlaubnis eingehen.
§ 13
Die im deutschen Recht erstmals vorgesehene Androhung von Bußgeldern gegenüber Triebfahrzeugführern bei Missachtung von Fahrvorschriften scheint uns nicht erforderlich zu sein
Ohne Gesetzestext:
Die in der Begründung des Gesetzentwurfs auf Seite 22 aufgeführten zusätzlichen 13,5 Stellen beim Eisenbahn-Bundesamt für die Durchführung der nach dem Gesetz vorgesehenen Kontrollen erscheinen uns deutlich zu hoch angesetzt. Zunächst ist festzuhalten, dass der Kontrollaufwand vermutlich in der Einführungsphase richtigerweise hoch sein, danach aber schnell absinken und nach Außerkrafttreten der Ausnahmen (s.o.) oder spätestens nach dem faktischen Auslaufen des Einsatzes von Graugusssohlen auch bei außerhalb Deutschlands und der Schweiz zugelassenen Wagen gegen Null sinken wird. Eine dauerhafte Stellenmehrung ist daher allenfalls im niedrigen einstelligen Bereich denkbar. Die Startphase kann sicherlich auch unter Inanspruchnahme von externen Dienstleistern bewältigt werden.
Der guten Ordnung halber soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass der Kostenaufwand der Kontrollen nicht im vollen Umfang an die Betreiber der Infrastruktur und/oder die kontrollierten Eisenbahnverkehrsunternehmen weitergewälzt werden darf, weil es sich bei den vorgesehenen Maßnahmen um hoheitliche Aufgaben handelt, die nach dem Bundesgebührengesetz nicht wälzbar sind.
Über die Umsetzung des Gesetzes sollten Eisenbahn- oder Umweltbundesamt regelmäßig berichten.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Westenberger
Geschäftsführer