Das NEE setzt sich im Schreiben an die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN mit dem aktuellem eisenbahnpolitischen Papier "Einfach Bahnfahren" auseinander, in dem die Überprüfung und Neuordnung der Aufgaben im Eisenbahnverkehr gefordert wird. Das NEE befürwortet den Vorstoß der Grünen und regt darüber hinaus weitere Maßnahmen an.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir möchten Sie und die gesamte Fraktion zu ihrem wichtigen Grundlagenpapier zur künftigen Eisenbahnpolitik beglückwünschen. Ein guter Aufschlag für dieses wichtige Wahljahr und - mit Weitblick - darüber hinaus! Sich
im Güterverkehr einen Marktanteil der Schiene von 30 Prozent bis 2030 und mittelfristig mindestens 40 Prozent zum Ziel zu setzen, halten wir sowohl für ambitioniert und richtig, aber auch realistisch.
Leider haben sich die ersten Kritiker damit nicht länger aufgehalten. Das Papier auf die martialisch klingende Interpretation zu reduzieren, die Grünen würden die Deutsche Bahn „zerschlagen“ wollen, greift deutlich zu kurz
und macht es sich zu einfach. Die Vorschläge der Fraktion zur Überprüfung und Neuordnung der Aufgaben im
Eisenbahnverkehr verdienen eine ernsthafte Debatte, denn das derzeitige Zusammenwirken von Regierung und
DB liefert nicht die Ergebnisse, die die Branche und das Ziel einer Verkehrswende wirklich voranbringen. Das liegt nicht an Corona, die Pandemie macht die Suche nach den Bau- und Schaltfehlern im System Eisenbahn nur dringender. Es ist ein besonderes Verdienst des Papiers, sich den politisch gesetzten Rahmenbedingungen verkehrsmittelübergreifend zu widmen und zahlreiche eingebaute Handicaps der Eisenbahnen ins Visier zu nehmen, die schon bei der Bahnreform 1994 kritisiert wurden. Faire Abgabenregelungen und der notwendige Ausbau der
Infrastruktur müssen zuallererst durch den Staat gewährleistet werden.
Wenn beispielsweise die vor wenigen Tagen erfolgte erstmalige Anlastung von Klimafolgen beim Straßengüterverkehr (durch das Brennstoffemissionshandelsgesetz) bei der angekündigten CO2-bezogenen neuen Lkw-Mautregelung wie angekündigt „kompensiert“ werden soll, würde die Politik durch eine Rolle rückwärts die Eisenbahnen noch schlechter stellen. Denn die Eisenbahnen zahlen auf dem gesamten Netz – und nicht nur auf den Bundesfernstraßen – Nutzungsentgelte und sie zahlen schon teils seit über zwei Jahrzehnten Klimaschutz-Abgaben aus der Ökosteuer, der EEG- und KWK-Umlage, dem Emissionshandel und über die Netznutzungsentgelte, die der
Straßengüterverkehr sämtlich nur vom Hörensagen kennt. Wir müssen derzeit davon ausgehen, dass die Regierung bei all dem das auch im Güterverkehr relevante Dieselsteuer-Privileg ebenso wie die EEG-Umlage, die Sie jeweils anpacken wollen, unangetastet ließe.
Ökonomisch relevante Anreize, ein gutes Infrastrukturangebot, eine innovative und vielfältige Landschaft von wettbewerbsfähigen Eisenbahnunternehmen sowie moderne Betriebsformen sind essenziell, damit die Schiene schnell wächst. Die Ausführungen zur Innovationsförderung – im Güterverkehr auch jenseits der wichtigen Kupplungsthematik – begrüßen wir. Wie stark bisher die staatlichen Ausgaben für Infrastruktur und Betrieb der verschiedenen Verkehrsarten vor allem den Straßenverkehr begünstigen, sollten Sie im Falle von Regierungsverantwortung in einer gründlichen Studie – wie es die Monopolkommission empfohlen hat – aufarbeiten lassen. Der derzeitige Bundesverkehrsminister hat diesem Vorschlag leider kürzlich erneut eine Absage erteilt.
In der Eisenbahnpolitik versteckt sich die Bundesregierung seit Jahren hinter dem angeblich unternehmerisch
geführten Bundesunternehmen DB AG, auf das zugleich vielfältige offizielle (z.B. die Dividendenerwartung) und informelle (z.B. faktische Bedienpflichten auf Wink des Ministers) kontraproduktive staatliche Vorgaben wirken.
Zugleich haben viele Bundesregierungen nacheinander für den Ausbau der Schieneninfrastruktur kaum etwas und gar nichts gegen Kapazitätsrückbau im vorhandenen Netz getan, so dass der gleichzeitig gewachsene Schienenverkehr die noch verfügbaren Kapazitäten immer weiter aufgezehrt hat. Während die DB – auch in Form der DB Netz AG als Beteiligte – öffentlich und gegenüber dem Parlament dazu weitgehend geschwiegen hat, haben die im Güter- und Personennahverkehr stark wachsenden Wettbewerber dieses Problem seit Jahren adressiert, ohne dass zeitnahe Abhilfe durch die Verantwortlichen sichtbar wäre. Wenn nun seit Jahren aus diesem Grund Verlagerungs- und Wachstumsszenarien der Schiene kritisch hinterfragt werden, müssen die Fehlsteuerungen sowohl bei der Regierung als auch beim wesentlichen Schieneninfrastrukturbetreiber differenziert identifiziert und beseitigt werden.
Ihrer Fraktion gebührt Dank dafür, die Größe der finanziellen Aufgaben ungeschminkt benannt – und deutlich gemacht zu haben, dass sich ein solches echtes Zukunftsinvestitionsprogramm nicht parallel zum uneingeschränkten weiteren Straßenbau finanzieren lässt. Einmal ganz abgesehen davon, dass eine die Schiene priorisierende Verkehrspolitik anders als bisher nicht neben jeder neuen oder ertüchtigten Schienenstrecke parallel Straßen ausbauen sollte. Das Budget für Neu- und Ausbau sowie für kleine und mittlere Maßnahmen muss parallel zum Ausbau der Planungskapazitäten sehr schnell gesteigert werden. Die langfristig verlässliche Bereitstellung der Bundesmittel mittels eines auch von Ihnen vorgeschlagenen „Infrastrukturfonds“ halten wir für überaus wichtig –
allerdings analog zur Schweizer Regelung auf gesetzlicher Basis. Die leider nicht aufgegriffenen Anträge der
Fraktion zum Bundeshaushalt 2021 wiesen bereits in die richtige Richtung.
Eine unterschiedliche Organisation der infrastrukturellen Aufgaben im Eisenbahnbereich, die grundsätzlich von der öffentlichen Hand verantwortet werden, und den verkehrlichen Aktivitäten, bei denen die existierenden bundeseigenen Unternehmen nicht anders als private Unternehmen behandelt werden dürfen, ist dringend erforderlich.
Die Eisenbahnverkehrsunternehmen sind die besten - und einzigen - Kunden der Schieneninfrastrukturbetreiber. Statt die natürlichen Monopole behördlich-kleinteilig zu regulieren (zur Ehrenrettung der Bundesnetzagentur muss hier gesagt werden: auf der Basis eines zahnlosen Regulierungsrechts), müssen die Infrastrukturbetreiber kundenorientiert aufgebaut und gesteuert werden. Die von Ihnen angesprochene Anstalt öffentlichen Rechts ist eine Möglichkeit – vorurteilsfrei sollten aber auch andere Konzepte wie eine gemeinnützige GmbH, Genossenschaftsmodelle oder auch eine einzelgesetzliche Regelung (wie beispielsweise bei der KfW) geprüft werden. Eine Änderung der Satzungen der DB Netz AG und der DB AG könnten kurzfristig für Verbesserungen sorgen bis die o.g.
Debatte zu mehrheitsfähigen Ergebnissen führt.
Insbesondere zu den folgenden Punkten würden wir gerne mit Ihnen in eine vertiefte Diskussion einsteigen.
Wir würden uns freuen, wenn die Fraktion den politischen Dialog auch im Wahljahr weiterführen und weitere, noch detailliertere Hinweise mit uns und weiteren Vertreterinnen und Vertretern der Branche diskutieren würde.
Mit freundlichen Grüßen
Ludolf Kerkeling Peter Westenberger
Vorstandsvorsitzender Geschäftsführer