Dem Wettbewerb auf der Schiene droht das Aus. Das ist ein Ergebnis des heute vorgestellten Wettbewerber-Reports Eisenbahn 2010/2011. Grund für diese Einschätzung der drei Verbände Netzwerk Privatbahnen, BAG-SPNV und mofair sind vor allem zwei Beobachtungen: Erstens sind die Rahmenbedingungen an vielen Stellen immer noch wettbewerbsfeindlich. Und zweitens fressen die stark steigenden Infrastrukturkosten den Erfolg des Wettbewerbs beim Betrieb auf.
"Die Wettbewerbsbahnen haben zwar einige Geländegewinne zu verzeichnen, aber es besteht große Gefahr, dass der Wettbewerb in nächster Zeit zum Erliegen kommt" resümieren die Präsidenten der drei Verbände.
Im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) ist die Deutsche Bahn nach wie vor mit 87,5 % der Verkehrsleistung marktbeherrschend. "Das liegt vor allem an den Direktvergaben an DB Regio in der Vergangenheit", sagte mofair-Präsident Wolfgang Meyer. DB Regio habe in den 90er Jahren nahezu alle Verkehrsverträge auf dem Wege der Direktvergabe ohne Wettbewerb erhalten. Davon habe sie derzeit noch mehr als 50 % im Bestand. Zwar habe der Bundesgerichtshof mit seinem Urteil vom 8.2.2011 klargestellt, dass Direktvergaben im Eisenbahnverkehr unzulässig seien. Bis allerdings alle Verträge einmal ausgeschrieben worden seien, würden noch mehrere Jahre ins Land gehen.
Von interessierter Seite würde auch schon wieder versucht, den Wettbewerb auszuhebeln, indem der Gesetzgeber mit unpassenden Argumenten zu einer Änderung der Rechtslage gedrängt würde. "Dass jetzt einige versuchen, Direktvergaben durch die Hintertür doch wieder uneingeschränkt möglich zu machen, kann doch wohl nur ein schlechter Witz sein", sagte Meyer.
Die Vergabewelle der nächsten Jahre stellt besondere Anforderungen an Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger. "Wegen der bestehenden Wettbewerbshindernisse insbesondere bei der Fahrzeugbeschaffung und beim Rechtsrahmen haben sich immer weniger Bahnunternehmen an Ausschreibungen beteiligt", sagte BAG-SPNV-Präsident Bernhard Wewers in Berlin. "Wir müssen die Ausschreibungen so gestalten, dass sie für die Bieter attraktiv sind, sonst werden wir in wenigen Jahren nur noch die Deutschen Bahn als Bieter haben."
Außerdem reichen die Regionalisierungsmittel nicht mehr so weit wie früher. Grund sind vor allem die seit 2002 um mindestens 450 Mio. EUR stark gestiegenen und steigenden Trassenpreise der DB Netz AG. "Wenn die Trassenpreise weiter stärker steigen als die Regionalisierungsmittel, sind Angebotsreduzierungen im SPNV die unausweichliche Folge", warnte Wewers und verwies auf die Kürzungen z. B. im SPNV von Sachsen. "Der Bund muss hier seinen Einfluss auf die DB Netz AG geltend machen."
Im Schienenpersonenfernverkehr fristet der Wettbewerb unverändert ein Schattendasein. Grund sind die hohen Investitionen in Schnellzüge, der Marktverschluss durch die fünfjährigen Rahmenverträge und nicht zuletzt die fehlende Trennung der Infrastruktur von den Transportunternehmen der DB. Deshalb sind die Perspektiven für den Wettbewerb im Fernverkehr düster. Gleichzeitig hat die Deutsche Bahn in den letzten 10 Jahren die Zahl der Fernverkehrshalte außerhalb des Kernnetzes um 48 % reduziert. 13 Oberzentren (z. B. Krefeld, Heilbronn, Bremerhaven, Salzgitter, Gera) haben ihre Fernverkehrsanbindung vollständig eingebüßt. Selbst Großstädte, die an sich gut im Netz liegen, haben massive Angebotsreduzierungen hinnehmen müssen, z. B. Magdeburg -62 %, Regensburg -55 %, Darmstadt -36 %, Bonn (inkl. Siegburg) -35 % und Dresden -33 %. Ganze Regionen wie Eifel, Mosel, Schwarzwald, Bodensee-Alpen, Nordbayern, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind inzwischen fernverkehrsfrei oder sehen nur noch wenige »Alibi«-Züge.
Im Güterverkehr konnten die privaten Wettbewerbsbahnen ihren Marktanteil auf gut 25 % ausbauen. Selbst in der Finanzkrise und der darauf folgenden Erholung konnten sie trotz der massiven Benachteiligung beim Bahnstrom deutlich zulegen. "Wir müssen bis zu 14 % mehr für den Strom bezahlen, als DB Energie ihrer Konzernschwester DB Schenker Rail in Rechnung stellt", konstatierte Torsten Sewerin, Vorstandsvorsitzender von Netzwerk Privatbahnen.
Nicht zuletzt erweisen sich die jährlich stärker als die Inflationsrate steigenden Trassengebühren als großer Belastungsfaktor, den die privaten Güterverkehrsunternehmen im Wettbewerb weitergeben müssen, während die Trassenpreise für die Deutsche Bahn AG ergebnisneutral sind. Was DB Schenker Rail vom Kunden weniger an Leistungsentgelt einnimmt, bekommt DB Netz als Trassenentgelt mehr. "Hier fehlt eine effektive, kostensenkende und effizienzsteigernde Regulierung der Trassenentgelte", sagte Sewerin. "Wir brauchen eine aktive Wettbewerbspolitik des Bundes und endlich einen Infrastrukturbetreiber, der nicht mehr mit dem DB-Konzern verquickt ist."
Uneingeschränkt funktionsfähig sei der Schienenverkehrsmarkt erst dann, wenn die Infrastrukturbetreiber unabhängig agieren. Solange jeder Newcomer auf einen übermächtigen, staatlich protegierten Marktteilnehmer als Mitbewerber treffe, der gleichzeitig das Infrastrukturmonopol besitze, solange würden Investoren den deutschen Eisenbahnmarkt nicht als besonders attraktiv einschätzen. Nötig sei außerdem, so die drei Verbände, die schnelle Stärkung des Regulierers Bundesnnetzagentur. Die gesetzlichen Grundlagen der Regulierung müssten präzisiert und verstärkt sowie die personellen Ressourcen der Bundesnetzagentur verbessert werden.
"Trotz aller Schwierigkeiten bleibt der Wettbewerb auf der Schiene die wesentliche Voraussetzung, damit wir alle uns den Bahnverkehr in der Zukunft weiter leisten können", so Bernhard Wewers.
Der Wettbewerber-Report steht auf den Homepages der Verbände zur Verfügung:www.netzwerk-privatbahnen.de, www.mofair.de und www.bag-spnv.de.