Kleine und Mittlere Maßnahmen schaffen zu vergleichsweise geringen Kosten eine zügige Entlastung des Schienennetzes. Hier finden Sie unsere Animation, die in gut einer Minute Kleine und Mittlere Maßnahmen (KuMM) erläutert und eine Übersicht.
Das deutsche Schienennetz ist voll. Zu voll. Vor allem in den Ballungsräumen („Knoten“) und auf Hauptrouten. Immer mehr Abschnitte – 2021 waren es 21 – werden als „überlastet“ ausgewiesen, weil mehr Nachfrage nach Trassen (=Fahrmöglichkeiten) als Kapazität existiert. Handlungsbedarf ist damit ohnehin da, wird jedoch noch einmal gesteigert durch die Klimaschutz- und somit Verkehrsverlagerungsziele der Regierung: Der Schienengüterverkehr soll bis 2030 25 Prozent der Güter transportieren, da keine Gütertransportart klimafreundlicher ist als die Schiene. Die Güterbahnen benötigen dafür mehr Kapazität auf den vorhandenen Verbindungen sowie neue Routen und Strecken. Bis vor etwa zehn Jahren wurde die Länge des Schienennetzes aus Kostengründen durch Streckenstilllegungen massiv verkürzt und zusätzlich durch den Rückbau von Weichen und Gleisen geschwächt. Seit vielen Jahren angekündigte Neu- und Ausbaumaßnahmen sowie Elektrifizierungsvorhaben blieben in der Planung und aufgrund mangelnder Finanzierung stecken. Die rot-grün-gelbe Bundesregierung will schneller planen und bauen und mehr Geld für die Schiene zur Verfügung stellen. Das ist gut, aber die Güterbahnen können nicht viele Jahre allein auf große Neubauvorhaben warten. Schnelle Kapazitätssteigerungen sind gerade jetzt besonders wichtig und sollten möglichst schnell realisiert werden. Zügige Entlastung schaffen die sogenannten „Kleinen und Mittleren Maßnahmen“ (KuMM), deren Bau auch vergleichsweise geringe Kosten verursacht. Der Clou dieser Maßnahmen liegt darin, dass damit im bereits vorhandenen Netz mehr Züge fahren können. An neuralgischen Engpässen schaffen Sie Platz oder neue Fahrmöglichkeiten – „Kapazität“ in der Planersprache der Eisenbahner:innen. Denn in einem hochausgelasteten Netz mit unterschiedlich schnellen Zügen bewirken manchmal ein paar Meter Gleis mehr oder einige Sekunden Zeitersparnis an der richtigen Stelle einen Kapazitätssprung auf längeren Abschnitten. Das Bundesverkehrsministerium und die DB Netz AG haben es nun vor allem in der Hand, schnell und flexibel auf die immer prekärer gewordene Situation zu reagieren.
Welche Maßnahmen gehören zu den Kleinen und Mittleren Maßnahmen?
Zusätzliche Gleise: Mehr Gleise sorgen für zusätzliche Fahr- und Ausweichmöglichkeiten und erhöhen damit die Streckenkapazität. |
Zusätzliche Weichen: Mehr Weichen sorgen für zusätzliche Fahr- und Ausweichmöglichkeiten und erhöhen damit die Streckenkapazität. |
Elektrifizierung: Nicht elektrifizierte Strecken, vor allem kurze „Elektrifizierungslücken“ sind ein enormes Hindernis für einen wettbewerbsfähigen Schienengüterverkehr, da Lokwechsel so kosten- und zeitintensiv sind, dass sie ganze Zugangebote unmöglich machen. Elektrischer Betrieb ermöglicht außerdem höhere Zugleistungen und senkt deutlich die Umweltbelastung. |
740-Meter-Überholgleise: In einem Netz mit teilweise starken Geschwindigkeitsunterschieden sind Überholungen für einen reibungslosen Betrieb Voraussetzung. Nur mit Überholgleisen, die der Standardlänge eines Güterzuges entsprechen, können die Züge mit voller Auslastung fahren. |
Puffergleise: Einzelne zusätzliche Gleise, auf denen Züge, Wagen oder Loks abgestellt werden können, schaffen Platz auf den Hauptgleisen. Das vermeidet Staus und Verspätungen und ermöglicht manche Zugangebote erst. |
Kreuzungsgleise: Auf einer eingleisigen mittelstark befahrenen Strecke erhöhen einzelne zusätzliche Gleise mit einer Zuglänge an der richtigen Stelle, dass Betrieb in zwei Richtungen mit geringen Wartezeiten möglich wird. |
Wendegleise: Züge des Personennahverkehrs, die am Zielort „wenden“ und nach einer Pause ihre Fahrt in die Gegenrichtung antreten, sollten dies nach Möglichkeit auf einem zusätzlichen kurzen Gleis (mit oder auch ohne Bahnsteig) tun, auf denen sie durchfahrende Züge nicht behindern. |
Überwerfungsbauwerke: Um beim Abzweig von einer Strecke weder selbst noch den auf dem Nachbargleis entgegenkommenden Verkehrs aufzuhalten, können Überwerfungsbauwerke dafür sorgen, das Nachbargleis zu über- oder unterqueren. Das bekannte Prinzip hatte sich der Straßenbau schon von der Eisenbahn abgeschaut. |
"Schnelle" Weichen: Wenn Güterzüge mit 80 oder besser 100 km/h statt 60 oder gar nur 30 km/h über eine Weiche auf ein Nachbar- oder Überholgleis fahren oder auf eine andere Strecke abzweigen können, spart dies nicht nur viel Energie, sondern macht die Strecke auch schneller für nachfolgende Züge frei, erhöht also die Kapazität. |
Beschleunigungsgleise: Auf Beschleunigungsgleisen können Züge, bevor sie auf ein Hauptstreckengleis auffahren, zunächst Geschwindigkeit aufnehmen, um sich einzureihen und damit Wartezeiten anderer und des eigenen Zuges zu vermeiden. |
Zusätzliche Verbindungskurven: Kurze Verbindungen zwischen zwei Strecken können „Kopf machen“ vermeiden, also die Notwendigkeit, für einen Richtungswechsel den Zug anzuhalten und die Lok an die andere Seite des Zuges zu setzen, bevor es weiter in Richtung des Ziels geht. |
Tunnelaufweitungen: Manche Tunnels sind zu klein, um dort zweigleisig Container oder Taschenwagen mit Sattelaufliegern zu transportieren, die ein größeres Lichtraumprofil benötigen. Besonders effizient ist die nötige Vergrößerung des Tunnelquerschnitts, wenn der zusätzliche Platz durch eine Absenkung des Tunnelbodens allein erreicht werden kann. |
Gleiswechselbetrieb: Auf zweigleisigen Strecken wird in Deutschland in der Regel auf dem rechten Gleis gefahren – die Streckenkapazität ist am höchsten, wenn die Züge hintereinander mit möglichst ähnlicher Geschwindigkeit fahren. Zusätzliche (schnelle) Weichen und Signale ermöglichen im Störungsfall und im Normalbetrieb die Nutzung des Gegengleises, so dass schnellere Züge überholen können – „fliegend“ an den langsameren Zügen vorbei, die dabei ihre Geschwindigkeit nicht oder nur geringfügig verringern müssen. |
Zusätzliche Signale: Zusätzliche Signale verkürzen die Abschnitte („Blocks“), in denen sich jeweils nur ein Zug befinden darf oder sorgen als zusätzliche Ausfahrsignale in Bahnhöfen für eine Kapazitätssteigerung durch zusätzliche Fahrmöglichkeiten. |
Zusätzliche oder ergänzte Bahnsteigkanten: Züge des Personennahverkehrs können damit vom Hauptgleis auf ein eigenes Gleis mit Bahnsteig geleitet werden, um Fahrgäste ein- und aussteigen zu lassen, während Züge des Güter- oder Personenfernverkehrs ohne Halt auf dem Hauptgleis vorbeifahren können. |
Beseitigung höhengleicher Bahnsteigzugänge: Immer noch muss an manchen Bahnhöfen ein Hauptgleis für durchfahrende Züge gesperrt werden, um Fahrgästen den Zu- und Abgang zu Bahnsteigen zu ermöglichen. Abgesehen von der Verbesserung der Sicherheit erhöhen Brücken/Unterführungen mit Aufzügen auch eine höhere Streckenkapazität. |
Kleine und Mittlere Maßnahmen sind keine spektakuläre Idee von Eisenbahningenieuren. Sie sind naheliegende Anpassungen der Infrastruktur, die nur bisher durchgefallen sind durch die herkömmliche Planung von Bund und DB Netz. Beide haben sich lange Zeit die Verantwortung für Finanzierung gegenseitig zugeschoben. Der Bund fühlte sich nur zuständig für große Neu- und Ausbaustrecken sowie Ersatzinvestitionen, die DB Netz sah ihre Verantwortung ausschließlich in der Instandhaltung. Das „Klimaschutzprogramm 2030“, das im Oktober 2019 von der Bundesregierung beschlossen wurde, machte dem ein Ende und setzte 1,4 Mrd. Euro Bundesmittel für zehn Jahre für diese Aufgabe an. Vermutlich deutlich zu wenig, aber immerhin ein Anfang. Nachdem die möglichen Maßnahmen und der jeweilige Kostenrahmen eingegrenzt wurden – immerhin sollen bis zu 50 Mio. Euro teure Projekte im Einzelfall möglich sein – verständigten sich Bund, DB Netz und die Eisenbahnbranche auf eine naheliegende weitere Eingrenzung. Das Instrument soll nur im Bereich von bereits ausgewiesenen „Überlasteten Schienenwegen“ zum Einsatz kommen und die Not lindern. Nach Sammlung von möglichen sinnvollen Maßnahmen legte die DB Netz im Februar 2021 endlich eine Liste mit 938 möglichen Kleinen und Mittleren Maßnahmen vor. 14 davon sollten nach einer weiteren Prüfungsrunde auf Empfehlung der DB Netz prioritär angegangen werden. Geschätzte Kosten: 130 Mio. Euro – also ungefähr ein Jahresetat der bereitgestellten Bundesmittel. Bis Ende 2021 war bisher jedoch keine der Maßnahmen über eine Prüfung des Kostenrahmens hinausgekommen, zwei wurden gar schon wieder ganz aufgegeben. Dieses Tempo entspricht keinesfalls dem Bedarf und muss dringend beschleunigt werden, denn nur sechs dieser Projekte sollen bis 2025 realisiert sein. In einer zweiten Tranche wurden 38 weitere Maßnahmen mit einem Investitionsvolumen von 224 Millionen Euro Ende des Jahres 2021 abgestimmt. Mehrere der Maßnahmen sollen allerdings nach den Planungen der DB erst nach 2030 fertig werden. Diese Planungszeiträume sind nicht nachvollziehbar. Hinzu kommt der zu knapp angesetzte Kostenrahmen. Die Güterbahnen fordern daher, die bereits festgestellte Notwendigkeit an Maßnahmen anzugehen und die Verfahren zu beschleunigen. Zum Zweiten muss das eingeplante Bundesbudget auch dem tatsächlichen Handlungsdruck entsprechen.
Kleine und Mittlere Maßnahmen können der Bundesregierung helfen, ihre verkehrspolitischen Wachstumsziele für die Schiene schneller zu erreichen. Es braucht schlicht keine zusätzlichen Autobahnen, wenn das Ziel die Verlagerung von umweltschädlichem Lkw-Verkehr auf die Schiene ist. Natürlich müssen auch die Planungen für Neu- und Ausbaustrecken fortgeführt, beschleunigt und besser finanziert werden. So müssen die noch von der Großen Koalition angesetzten 2 Milliarden Euro für größere Neu- und Ausbaumaßnahmen des Schienenwegenetzes, die im Bundeshaushalt ab 2023 geplant sind, unter der neuen Regierung auf zunächst 3 Milliarden Euro aufgestockt werden und bis zum Ende der 2020er Jahre auf 6 Milliarden Euro ansteigen. Außerdem müssen Finanzierungskreisläufe grundsätzlich hinterfragt und aufgebrochen werden und ähnlich wie in der Schweiz das Prinzip „Verkehr finanziert Verkehr“ institutionalisiert werden. Auf diese Weise werden genug Finanzierungsmittel freigesetzt, um die Schiene zu priorisieren, für die nächsten Jahre und Jahrzehnte zu rüsten und den Güterverkehr endlich klimafreundlich zu machen.